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Hedwig ist eine unglückliche und nicht sonderlich erfolgreiche Sängerin in den USA und tingelt mit ihrer Band durch kleine Spelunken. Während ihres Auftritts kann man in der Ferne die Geräuschkulisse eines Konzerts in einem gigantischen Stadion hören. Dort gibt Rocklegende Tommy Speck gerade ein ausverkauftes Konzert. Und bitter erinnert sich Hedwig daran, wer Tommy Speck eigentlich dorthin gebracht hat, wo er sich jetzt befindet: nämlich sie, Hedwig. In einem verranzten Trailerpark hatten sie sich einst kennengelernt, als sie, eine einsame sitzengelassene Neu-Amerikanerin, auf einen verpickelten schüchternen Jüngling traf und sein Leben veränderte.
Und nun befindet er sich auf dem Rockgipfel, während sie nur die Krümel abbekommt, die von seinem Tisch abfallen. Dabei war sie es, die ihn einkleidete, ihm seine Songs schrieb, ihn aufbaute. Aber, wie alle Männer in ihrem Leben, verließ er sie schließlich.
Vom Leben enttäuscht rotzt Hedwig ihre Lebensgeschichte auf die Bühne des kleinen Clubs, in dem sie gerade spielt: Als Hansel Schmidt im Osten des geteilten Berlin geboren und aufgewachsen, träumt der androgyne junge Mann von Freiheit und Ferne. Die kommt zu ihm in Form des GI Luther, der verspricht, den schönen Hansel mit in die USA zu nehmen. Dafür müssen sie allerdings heiraten und um zu heiraten, muss einer von ihnen weiblich sein. Hansel lässt sich also umoperieren, die OP geht schrecklich schief und übrig bleibt – the angry inch!
Die große amerikanische Freiheit entpuppt sich als Trailerpark mitten im Nichts und nicht als schillernde Welt voller Möglichkeiten. Hedwig bleibt enttäuscht und bald auch allein zurück.
Sven Ratzke leidet, wütet, schäumt, flirtet, stolpert, schmachtet und zickt auf der Bühne. Er spielt nicht Hedwig, er ist Hedwig. Von seiner mal unschuldigen, mal abgebrühten Mimik, seinen gespielt nachlässigen Gesten bis hin zu seiner grandiosen Stimme – alles stimmt. Bis in die Fingerspitzen hinein personifiziert er die Hedwig. Er hat mich derart in seinen Bann gezogen, das ich das Stück mittlerweile schon zum zweiten Mal gesehen habe, einmal vor einigen Jahren im Admiralspalast Club und jetzt noch einmal im BKA Theater. Dabei zog mich nicht nur die düster-skurrile Geschichte an, die Hedwig uns erzählt, sondern auch die tollen Songs. “Wig in a Box” ist nur einer von den vielen wunderbaren, rockigen und nachdenklichen Songs, die dieses Musical zu etwas ganz Besonderem machen und Sven Ratzke performt sie einfach am besten. Nachdem ich ihn damals zum ersten Mal in der Rolle gesehen habe, habe ich auch den Film zum Stück gesehen (2001) und das Broadwaystück mit Neil Patrick Harris als Hedwig (2014), aber für mich ist und bleibt Sven Ratzke die beste Hedwig.
Im November gibt es nochmal vier Termine im BKA Theater, die darf man nicht verpassen!
©Nicole Haarhoff