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Es war ein schmachvoller, nicht haltbarer Zustand und nun habe ich endlich Abhilfe geschaffen! Eine Berliner Kulturbloggerin, die das Kultstück Linie 1 im Grips Theater noch nie gesehen hatte! Peinlich!
Der Himmel blau mit Sahne
Wir schreiben das Jahr 1986. Morgens um 6 Uhr am Bahnhof Zoo, ein rotwangiges, glanzäugiges Mädel vom Dorfe stolpert aus dem Zug und sieht sich neugierig um. Junkies, Penner und Nutten bevölkern um diese Zeit den Bahnhof, im Minutentakt hört das Mädchen: “Haste ma ne Mark?” Ein wenig blauäugig und ein wenig sehr naiv trudelt das Mädchen zwischen den gackernden Säufern hindurch. Eine Auskunft nach dem richtigen Weg bekommt sie allerdings nicht, denn als nächstes durchströmen die hektischen Großstädtler, auf dem Weg zur Arbeit, den Zoo. Die sehen nichts, hören nichts und sagen nichts, außer einer gezischten Beleidigung vielleicht. Nur der fröhliche Punk Bambi hilft dem Mädchen, doch noch die richtige Richtung gen Kreuzberg einzuschlagen. Denn dort wartet er: ihr Märchenprinz! Die Liebe ihres Lebens. Der Rockmusiker, der mit seiner Band ihr Dörfchen und ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat – ihr Johnnie!
Wie gut, dass mir manchmal son Engel erscheint, wie du – und für mich weint
So einfach ist es aber leider nicht, seinen Traumprinz zu finden, das muss unsere Wessi-Tussi, wie sie freundlich betitelt wird, schnell lernen. Bei ihrer Odyssee durch die Stadt, immer von Waggon zu Waggon, trifft sie noch einige Großstadtfrösche, ehe sie den Prinzen küsst. Da sind freche Mädels auf dem Kriegspfad, genervte Familien auf dem Weg ins Grüne, Wilmersdorfer Witwen, schwule Pärchen und der eine oder andere Pöbler. Da sind ominöse Spanner, nette junge Mädchen und Beziehungsdramen. Da sind Nazis in Springerstiefeln, Kopftücher und Kontrolleure. Und da sind menschliche Dramen, die dir das Herz zerfetzen.
Hab wieder Mut zum Träumen, von einem Leben, das brennt
Das dreistündige Musicaldrama ist zu Recht das bekannteste und beliebteste Werk des sowieso immer großartigen Grips Theater. Ein buntschillerndes, liebevolles und rotzfreches Berlinkaleidoskop, das die typischen Großstädter gekonnt seziert und auf der Bühne ihr Innerstes nach Außen stülpt. Mal witzig, mal rockig, mal frech und dann wieder entsetzlich traurig und schockierend. Auch mehr als dreißig Jahre nach seiner Uraufführung hat Linie 1 nichts von seiner Brisanz und von seiner Aktualität eingebüßt, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich erst gestern einige der vorgestellten Großstädter in der U-Bahn getroffen habe! Tolle Musik und Schauspieler, denen die Figuren wie angegossen passen, ergeben zusammen einen wunderbar nachdenklichen und bildgewaltigen Abend. Wer ist bis jetzt noch nicht gesehen hat: schnell ins Grips! Es lohnt sich.
©Nicole Haarhoff
Liebe Nicole, ist ja wirklich Zeit geworden ;-)))
Danke für die wunderbare Kritik!