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Es ist schon einige Jahre her, da habe ich Benjamin von Stuckrad-Barre mal live erlebt, auf der Buchmesse Leipzig war das, glaube ich. Er stellte sein Buch “Auch Deutsche unter den Opfern” vor und irgendein armer Tropf, ein ganz junger Mann, interviewte den Dandy in den weißen Jeans. Und wurde von von Stuckrad-Barre so derartig rundgemacht, es war schmerzhaft, da zuzusehen. Wie ein Hai, der Blut im Wasser wittert, roch er die Schwäche seines Gesprächspartners und nahm ihn nach Strich und Faden auseinander, bis der Andere nur noch ein verlegen stammelnder, hochroter Schatten seiner Selbst war. Und von Stuckrad-Barre übernahm dann das Interview mit sich selbst einfach selbst und sprach fortan nur mehr mit dem Publikum.

Dementsprechend hatte ich nicht gerade eine liebevolle Meinung von ihm, als ich am Montag Panikherz im Berliner Ensemble sah. Aber dort entdeckte ich dann eine vollkommen andere Seite an ihm. Regisseur Oliver Reese hat die vielfältige Persönlichkeit und das ausschweifend gelebte Leben des Benjamin von Stuckrad-Barre auf vier unterschiedliche Schauspieler verteilt: Bettina Hoppe spielt den müden Krieger, der in der Gegenwart im berühmten Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard auf sein Leben zurückblickt. Carina Zichner ist Benny, der Junge in der niedersächsischen Kleinstadt, Pastorensohn, musikverückt, Udo-Fan. Nico Holonics (weiße Jeans, klar, die darf nicht fehlen) und Laurence Rupp sind Stuckrad-Barre auf dem Höhepunkt seiner Karriere, manisch kreiselnd, auf Kokain, Alkohol und Rohypnol. Auf der Überholspur, Musikredakteur, Autor, Klatschblatt-Bad Boy, aber dann auch Entzugsklinik, Rückfall, Essstörung, erneut Klinik. Der Körper kaputt, die Sucht stärker als alles andere. Die vier Darsteller zeigen das teilweise beinahe witzig, teilweise absolut erschütternd, aber immer authentisch. Die Musik, die den musikbegeisterten von Stuckrad-Barre immer begleitete, begleitet nun auch das Stück: Udo Lindenberg, Nirvana, Rammstein!

Zwei Stundenvöllige und totale Selbstentblößung, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne jegliche Zurückhaltung wird vor unseren Augen ein Weg in die Sucht, in die Essstörung erzählt, bis hinein ins kleinste, schlimmste Detail. All vier, aber vor allem Carina Zichner (Szenenapplaus!) kehren dabei das Innerste heraus! Grandiose, mitreißende Darstellung!

©Nicole Haarhoff, Titelbild: Julian Röder, Berliner Ensemble