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Vier Mädchen. Sie sind Scarletts beste Freundinnen. “Ihre Mädels”. Zumindest sind sie das bis zu diesem einen bestimmten Tag, an dem sich Scarlett plötzlich ganz allein wiederfindet. Das ist der Tag, an dem sich eine sehr langweilige Geschichtsstunde plötzlich in einen wirbelnden, kochenden Hexenkessel verwandelt, als die Handy-Bildschirme aller Mädchen gleichzeitig aufleuchten: alle bekommen es. Das Bild von Scarlett. Das Nacktbild von Scarlett. Anscheinend hat es ein Junge gemacht. Und augenscheinlich ist er auch derjenige, der es der gesamten Schule geschickt hat. Wirklich ganz genau weiß es niemand, weil Scarlett nie zu Wort kommt. Sie wird nur verurteilt. Von “ihren Mädels”. Von den anderen Mädchen. Sie analysieren ganz genau jeden Zentimeter von Scarletts Körper. Sprechen über jedes Muttermal. Über ihre Brüste, ihre Körperbehaarung. Und natürlich über den offensichtlichen Fakt, dass Scarlett eine wertlose Schlampe ist.

Über den Jungen, der das Bild gemacht hat und darüber, dass er es der ganzen Schule geschickt hat, daran scheint sich niemand zu stoßen. Und wenn es überhaupt erwähnt wird, dann nur, weil Scarlett es durch ihre Taten offensichtlich nicht besser verdient hat. Als Scarlett den Jungen, Russell, in der Kantine zur Rede stellt, macht er sich über sie lustig, sehr zur Freude aller Schaulustigen. Er ist obenauf, er ist der Coole, sie ist die Schlampe, die es besser hätte wissen müssen. Auch ihr Gegenschlag bringt ihr nicht das, was sie sich vielleicht erhofft hat: Als ein Nacktbild von Russell herumgeht, scheint das die Meute nicht im geringsten so sehr aufzubringen, wie das mit Scarletts Bild der Fall war. Im Gegenteil, es zieht nun auch noch die Aufmerksamkeit von Russells Freundin auf Scarlett und ehe man sich versieht, gibt es eine wilde Mädchenschlägerei. Warum ist die Freundin eigentlich nicht sauer auf Russell, könnte man sich vielleicht fragen. Warum will sie nicht ihren Freund, aber ein völlig fremdes Mädchen verprügeln? Und warum wollen die umstehenden Mädchen diese Prügelei nur allzu gern sehen? Niemand holt einen Lehrer oder geht selbst dazwischen…

Pia Katharina Jendreizik, Dennis Pörtner, Elena Schmidt und Kassandra Wedel spielen abwechselnd die “Freundinnen” von Scarlett, über die immer nur gesprochen wird, die selbst eigentlich nicht zu Wort kommt in diesem Stück, bis ganz zum Schluss. Und sie spielen auch die starken Frauen aus drei verschiedenen Jahrzehnten, die den “Mädels” entgegen gestellt werden, starke Frauen die für ihre Rechte kämpfen und Dinge tun, für die sie von ihren (männlichen und weiblichen) Mitmenschen verurteilt werden. Ein ganz starkes Stück! Es wird gebärdet und gesprochen, taube und hörende Schauspieler stehen auf der Bühne. Und ich glaube, eindringlicher und wahrer kann man Mädchen, Frauen, Feminismus und weibliches Miteinander (Gegeneinander?) kaum darstellen. Das Stück sollte auf dem Lehrplan stehen. Ganz großes Kino!

©Nicole Haarhoff ©Bild: Karl-Bernd Karwasz