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Ein Abend wie jeder andere. Ein junges Paar, Helen und Danny, will sich gerade zum gemütlichen Abendessen hinsetzen, schließlich sind sie ausnahmsweise mal kindfrei, als plötzlich Liam hereinplatzt, Helens Bruder. Er hat einen Schlüssel für Notfälle. Und vielleicht ist das hier auch ein Notfall, denn Liam beginnt sofort zu reden, ohne Punkt und Komma. Beinahe manisch rennt er im Wohnzimmer auf und ab, brabbelnd und aufgeregt, während Danny und Helen ihn entsetzt beobachten, denn: Liam ist von oben bis unten voller Blut.

Ein Junge, sagt er, ein Junge auf dem Boden, auf der Straße, blutüberströmt. Bewusstlos. Er habe ihm helfen wollen. Helen ist vor allem besorgt um Liam, Danny dagegen möchte genauer wissen, was vorgefallen ist. Aus Liam ist aber nicht viel mehr Information herauszubekommen, dafür stellt Helen ziemlich schnell die beschützerischen Stacheln auf: Liam ist hier nicht der Täter, findet sie. Danny verhört ihn viel zu sehr, dringt viel zu sehr auf ihn ein. Sie beginnt, das ehemals weiße Hemd zu waschen.

Danny, dessen Plan die Polizei einzuschalten, ziemlich schnell verworfen wird, möchte den Jungen nun zumindest suchen. Immerhin könnte er dort ja noch immer liegen. Verletzt. Blutend. Wo genau habe das Ganze denn stattgefunden, will er wissen, aber Liam meint, der Junge sei nicht mehr dort. Er sei aufgestanden. Sei weggerannt, ohne ein Wort. Danny wird hellhörig, hatte Liam nicht zuvor von einem bewusstlosen Jungen gesprochen? Je mehr er zweifelt und nachfragt, desto abwehrender reagiert Helen. Ihre Sorge gilt einzig und allein Liam und der unbekannte Junge ist ihr relativ egal. Sie will nicht, dass die Polizei sich auf den unbeteiligten Liam als Täter konzentriert. Um zu erreichen, dass Danny sich ihren Wünschen beugt, sind ihr alle Mittel recht. Sie appelliert an seine Männlichkeit, unterstellt ihm fehlenden Mut und ist sogar bereit, ihr ungeborenes Kind als Druckmittel zu nutzen.

Meret Mundwiler (Helen), Julian Anatol Schneider (Danny) und Christoph Vetter (Liam) zeigen beeindruckend und verstörend eine totale Eskalation. Aus einem ruhigen Abend wird ein Machtkampf um Treue, Liebe, Familie, Mut, Hass und Angst, bei dem es im Endeffekt nur Verlierer geben kann. Trotz der kahlen Bühne und der drei Personen im weißen T-Shirt und Jeans ein Theaterabend, der die Zuschauer sprachlos zurücklässt. Alles ist auf die drei Schauspieler reduziert, auf ihre Worte, ihre Gesten. Jeder für sich ist absolut großartig, Meret Mundweiler als besorgte Schwester Helen, die alles, einfach alles tun würde, um ihren Bruder zu beschützen. Oder Danny, der Gutmensch, der so verzweifelt versucht, das Richtige zu tun. Und nicht zuletzt Liam, beeindruckend gespielt von Christoph Vetter, dieser naiv-liebe Junge am Anfang, der Schutz bei seiner geliebten Schwester sucht… Ein packendes Stück, spannender und erschütternder als so mancher “Tatort”-Sonntag.

©Nicole Haarhoff ©Bild: Jörg Landsberg