Im Jahr 2016 habe ich Das Kabarett der Namenlosen zum ersten Mal gesehen, das ist schon wieder eine ganze Weile her! Und natürlich war ich neugierig, wie sich die Show im Laufe dieser Jahre verändert hat und ob sie mich wieder genauso berührt und begeistert wie damals. Nach wie vor erleben die Roaring Twenties ja einen riesigen Boom. Allerhand Fernsehfilme und Serien (aktuell zum Beispiel Peaky Blinders, Boardwalk Empire und Babylon Berlin) geben Einblick in eine Zeit des abendlichen Ausgehrausches, des Lasters und der sexuellen Freizügigkeit. Und unser Berlin war die Hauptstadt der Dekadenz, der Ort des schlüpfrigen Geschehens und die Weltmetropole des Theaters. Varietés und Kabaretts lockten die Zuschauer hinein in nie dagewesen freizügige Vergnügungen.
Im Jahr 2019 ist das Publikum mal wieder so schön, sie könnten alle selbst auf der Bühne stehen. Geschmeide glänzt im trüben Licht der wenigen Lampen, Pailettenkleider schimmern sanft, die Köpfe sind mit wippenden Federn geschmückt. Die Männer sind im Frack, tragen Zylinder, vielleicht eine geheimnisvolle Maske. Und dann betritt Le Pustra den Raum, zusammen mit seiner mondänen Truppe und zack, plötzlich befindet man sich tatsächlich in einer anderen Zeit. Die Kleider sind nicht mehr bloße Kostüme, stattdessen sind wir mittendrin in den Goldenen Zwanzigern. Der schöne Lars (Lars Schwuchow) versetzt uns als Berlin-Fliehender in eine Zeit des Umbruchs, die Zwanziger neigten sich dem Ende zu und eine Aura der Angst und des Terrors legte sich über Deutschland. Das merkten sehr schnell die Künstler, die Offenherzigen, die Freiheitsliebenden, all die, die nicht in die Gedankenwelt der Nazis hineinpassten.
Le Pustra singt, tragisch-schön ist sowohl seine Stimme als auch sein ganzer Auftritt als Kabarett-Chef, sorgsam achtet er auf seine Girls und Boys, kann aber auch nicht verhindern, dass sich Vicky Butterfly (überirdisch schön) unglücklich in einen Gigolo verliebt und koksend ihr Leben im Tanz aushaucht. Sexy Telefonmädel Julietta la Doll ist da pragmatischer, sie telefoniert, vögelt und lästert, mal mit einem Freier, mal mit der Mutti! Für die Musik zu Le Pustras Songs sorgen Charly Voodoo am Piano, eine atemberaubende Vision in Korsett, High Heels und einer Maske, die den ganzen Kopf unter schwarzer Spitze verschwinden lässt und die schöne Shir-Ran Yinon an der Violine,sie übernimmt auch einen Teil des Gesangs. Charly hat seinen freizügigen Lover Pierre-Louis Dezert mitgebracht, gemeinsam sind sie betörend.
Lada Redstar, in die ich heimlich verliebt bin, weil sie einfach so wunderschön und wild und sexy ist, entflieht Le Pustras Obhut, um „My Girls Pussy“ dem Publikum auch tatsächlich mal zu zeigen. Die absolut und vollkommen alterslose Bridge Markland macht KUNST! Reverso und Mama Ulita verwischen beide auf ihre Art und Weise die Grenzen der Geschlechter. Die Gäste in den vorderen Reihen, die natürlich eingebunden werden, wie sollte es auch anders sein, können später wahrscheinlich gar nicht mehr sagen, ob es schöner war die Füllung in einem Le Pustra-Lars-Sandwich zu sein oder hautnah Vicky Butterflys Schmetterlingstanz der Farben zu erleben oder Mama Ulitas Flammenshow.
Wer Das Kabarett der Namenlosen bisher noch nicht besucht hat, dem kann ich das nur dringend ans Herz legen. Näher werdet ihr dem Lebensgefühl der 20er Jahre in Berlin sicher nicht kommen. Und wenn ihr Angst vor dem Dresscode habt, dann könnt ihr euch im Le Boudoir in Friedrichshain entsprechend ausstaffieren lassen, der Laden gehört Veranstalterin Elsa Edelstahl und hier könnt ihr zu echten Flappergirls oder Dandys werden. Karten für die nächsten Termine vom 5.-8. März 2020 sind bereits im Vorverkauf, ranhalten, die sind sehr schnell ausverkauft! Dort findet ihr auch die Termine und Tickets für Boheme Sauvage!
©Nicole Haarhoff